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Und nacher?

https://pixabay.com/illustrations/virus-pathogen-infection-biology-4937553/ licensed as CC0 Creative Commons

Eigentlich hatte ich ganz andere Pläne für dieses monatliche Update. Tja, Corona happens. Irgendwie schreiben scheinbar alle, die sich mit Persönlichkeitsentwicklung, Psychologie oder Spiritualität beschäftigen, gerade intensiv über die Krise und wie wir am besten damit umgehen können. In dem Sinne hier auch nochmals der Link zu unserem Expertenpool Online-Beratung für akute Corona-Bedarfssituationen.

Ich dachte mir allerdings das es viel interessanter wäre über die Zeit nach der Krise zu schreiben. Und zwar nicht in der Formulierung frommer Wünsche an den Osterhasen (Klimarettung, mehr Miteinander, mehr Achtsamkeit im persönlichen Umgang mit sich selbst – mal sehen ob das so hält wie viele sich erhoffen) sondern in ganz konkreten Ideen. Vorher allerdings noch ein wenig Theorie zur besseren Orientierung.

Jede traumatische Krise besteht aus vier Phasen:

1. Phase: Schockphase: Zustand der Betäubung oder chaotisch-ungesteuerter Aktivtät. Wer kein Klopapier gehamstert hat hat, hebe die Hand.

2. Phase: Reaktionsphase: Konfrontation mit der Realität, und der Versuch sie zu integrieren. Es geht ums gefühlte Überleben, beruflich wie privat, bei gleichzeitig noch größtmöglicher Distanzierung von der Gravität der Situation. Home-Office Regeln werden erstellt, die Kinder notdürftig bespaßt, die Situation trotzdem immer wieder verniedlicht oder abgewiegelt. Wer frühere Vorerlebnisse ähnlicher Art hat (längere Arbeitslosigkeit, soziale Isolation etc.) ist jetzt besonders gefährdet, alte Ängste zusätzlich wieder zu aktivieren. Hier bedarf es eigener Aufmerksamkeit und gegebenenfalls die Zuziehung professioneller Hilfe.

Erfreulich festzustellen: In meinem beruflichen und privatem Umfeld bewegen sich scheinbar die meisten Personen aktuell durchaus schon zum nächsten Schritt.

3. Phase: Bearbeitungsphase: Erste zarte Gedanken an neue Interessen und Zukunftsperspektiven tauchen auf. Das Hadern und Verdrängen mit der erzwungenen Situation tritt in den Hintergrund, Eigenmacht wird stückweise wieder spürbar. Pläne für die Zeit danach werden formuliert. Es ist allerdings auch völlig normal, dass Phase 3 und Phase 2 sich noch eine ganze Zeit lang immer wieder abwechseln, wenn die Rückfälle auch schwächer werden.

4. Phase: Neuorientierung: Selbstwert und Stabilität sind wieder präsent, neue Beziehungen und Projekte werden begonnen, Lebenserfahrung wurde gewonnen und stärkend integriert. Da wollen wir hin, am besten schon gestern.

Wenn wir nun beginnen, über die Zeit nach der Krise nachzudenken – dann brauchen wir Ressourcen, um die dritte Phase gut zu meistern. Im Kern geht es um die Wiederentdeckung der eigenen Wirksamkeit, Wiedererlangung von Vertrauen in das eigene Selbst und Umfeld. Und vor allem auch um Sinnfindung.

Mir selbst haben dabei folgende Fragen gut geholfen:

  1. Welche Dinge, welche Zwänge und Situationen, die ich vor der Krise in meinem Alltag hatte, möchte ich nacher nicht mehr in meinem Alltag haben?
    (i.e: Wofür ist das eine Chance, es jetzt hinter mir zu lassen, damit abzuschliessen?)
  2. Welche Dinge, Umstände, Gewohnheiten, sozialen Kontakte die ich vorher für unersetzlich gehalten habe, erweisen sich gerade als überraschend unbedeutend?
    (i.e.: Was kann ich viel leichter loslassen, als ich eigentlich dachte?)
  3. Was soll in meinem Leben nacher genau wieder so sein wie vorher?
  4. Was darf in meinem Leben nacher sogar besser sein als vorher?
  5. Was kann ich aktiv jeden Tag ein wenig tun, welche neuen Gewohnheiten oder Sichtweisen sind sinnvoll, um Raum für die obigen Veränderungen zu schaffen?
  6. Wenn ich gefühlt grade gar nichts tun kann – was fehlt mir, um wieder in selbstwirksames Handeln zu kommen? Was beschränkt mich am meisten? Wie und von wem kann ich mir dabei Unterstützung holen?

Ich selbst bemerke zum Beispiel, dass die zwangsweise Reduktion meines Teilzeit-Bürojobs mir tatsächlich sehr gut tut. Ja, ich muss mit deutlichen finanziellen Einbußen klarkommen, die mich im ersten Moment schockiert haben. Schon jetzt merke ich aber eine größerwerdende Motivation, diese Finanzen gegen mehr persönliche Freiheit in meiner selbstständigen Tätigkeit zu tauschen – vielleicht auch nach dem Ende der Kurzarbeit. Will ich wirklich wieder zurück in das Hamsterrad konzernweiter Firmenpolitik – oder kann ich jetzt jeden Tag ein paar kleine Schritte setzen, von dem zu leben das mich wirklich erfüllt?

Von alleine hätte ich nicht die Eier gehabt, diese Überlegungen überhaupt zu beginnen. Dinge die noch vor sechs Wochen denkunmöglich waren, werden gerade Alltag. Nicht nur im negativen, sondern auch im Guten. Es lohnt sich den Blick darauf zu lenken was alles geht, wenn man “muss” – nicht nur darauf, was alles plötzlich fehlt.

Mir ist bewußt, dass viele Personen viel exsistenzieller durch diese Krise gefährdet sind als meine Freunde/Kollegen und ich. Der Verlust geliebter Angehöriger, plötzliche Arbeitslosigkeit, Konkurs des eigenen Geschäftes, dies alles sind wesentliche Lebenseinschnitte die nicht mit ein paar netten Worten wegzuwischen sind. Wenn verständlicherweise die eigenen Kräfte hier nicht mehr reichen, empfehle ich wirklich sich kostenlose kriseninterventive Hilfe zu suchen unter www.sos-corona.at Meine Kollegen und ich helfen gerne und unkompliziert.

Für jene, die jetzt allerdings feststellen, dass die Erde sich tatsächlich auch morgen noch weiterdrehen wird, ist vielleicht das genau der richtige Zeitpunkt sich die obigen Fragen zu stellen. Bleibt gesund, bleibt daheim – bis nacher.

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