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Lügenfasten – wer macht mit?

https://pixabay.com/photos/truth-reality-letters-word-honesty-4557661/ licensed as CC0 Creative Commons

In einer Diskussion mit Freunden letztens hatten wir einen spannenden Gedanken, den ich hier gerne mit euch teilen würde:

Wie wäre es, in der Fastenzeit mal alle die “kleinen, netten Lügen” wegzulassen, die wir im Alltag aus Bequemlichkeit verwenden?

Ich hatte selbst vor kurzem zu einer Veranstaltung zugesagt, für die ich einer mir wichtigen, lieben Freundin im Wort war. Und mir klar war das meine Nicht-Anwesenheit sie wahrscheinlich verletzten würde.

Gleichzeitig konnte ich am Tag vorher genau fühlen, dass ich aus aktuellen persönlichen Gründen, die ich zum Zeitpunkt der Zusage auch nicht hätte absehen können, mich dort absolut unwohl fühlen würde. Und damit meine eigene Kraft über die Maße strapaziert hätte, gerade an einem Wochenende wo ich diese noch dringend brauchen würde.

Mein erster Impuls war also, meiner lieben Freundin eine passende Ausrede aufzutischen – “Hab den Coronavirus, muss dringend arbeiten weil mein Chef wahnsinnig geworden ist, meine dritte Oma ist gerade gestorben” – irgend sowas in der Art fällt uns doch allen sehr leicht ein, wenn wir uns aus sozial unangenehmen Situationen winden möchten.

Bei näherem Hinspüren wurde mir dann aber klar, dass es eigentlich vollkommen okay ist, auf mein Bauchgefühl zu hören. Und mein Gefühl war eindeutig, berechtigt und legitim. Ich nahm also mein Telefon in die Hand, rief meine Freundin an, und habe ihr die Situation ausführlich erklärt.

Und siehe da: Niemand ist an dieser Ehrlichkeit gestorben. Ja, sie war unangenehm berührt das ich nicht kommen wollte – aber gleichzeitig war sie mir dadurch ein Stück näher gekommen, dass ich ihr mehr von meiner eigenen Welt und meiner Verletzlichkeit gezeigt hatte. Ehrlichkeit schafft Verbindung.

Also, versuch’s mal anders:

Dein Kumpel ruft an und will etwas unternehmen, aber du hast keine Lust? Statt “Hey, tut mir leid, bin schon verplant” mal ganz ehrlich “Hey du, sorry, hab echt keine Lust darauf“.

Deine Freundin will in Stadt XY über’s Wochenende, aber du willst ans Meer? Statt “Ach weißt du, Stadt XY ist doch so unglaublich überteuert” mal ganz ehrlich: “Hey, weißt du, eigentlich hab ich total Lust auf Meer.

Genau um diese kleinen “Lies of Convenience” geht es mir. Denn was passiert, wenn wir die weglassen?

  • Wir sind plötzlich gezwungen, uns selbst klar zu werden was wir wirklich wollen, und warum wir etwas nicht wollen oder etwas anderes lieber möchten.
  • Wir sind zusätzlich noch gezwungen, diese eigenen Bedürfnisse klar nach außen zu kommunizieren, auch auf das Risiko einer Konfliktsituation hin.

Und das stärkt in jedem Fall unsere eigene Persönlichkeit gewaltig.

Nicht inkludieren in diese Übung würde ich exsistenzgefährdende Lügen. Wenn dein Chef ein narzisstisches Arschloch ist, dann wird es möglicherweise trotzdem sinnvoll sein, ihm nicht zu sagen wie blöd seine neue Projektidee ist.

Nicht inkludieren würde ich auch die sogenannte “schonungslose Ehrlichkeit”. Angemessene Kommunikation sollte authentisch sein, aber auch situationsadequat (vg. Schulz von Thun). Jemand alles an den Kopf zu werfen was ich mir gerade denke, nur um in der Überforderung des Gegenüber eine passende Reaktion zu erzielen ist nicht ehrlich, sondern manipulativ. Also ist dies keine Einladung, mit möglichst viel Drama jeden Gefühlsfurz nach außen zu werfen der uns quersitzt.

Auch in der Offenheit kann ich wertschätzend bleiben, und meinem Gegenüber meine Emotionen auf eine Art mitteilen mit der dieser umgehen kann.

Letztlich geht es schlicht darum, die kleinen Dinge des Alltags so zu benennen wie ich sie brauche und möchte. Für mich selbst zu sprechen, klar einzustehen für meine Bedürfnisse, und diese nicht hinter Vorwänden zu verstecken.

Wer macht mit?

This Post Has One Comment
  1. Ich fand den Gedanken des Lügenfastens anfangs wirklich gut.. bis ich begonnen habe intensiver darüber nachzudenken. Und jetzt halte ich das ganze für eine ganz schlechte Idee.

    Möchte ich denn wirklich immer die Wahrheit hören? Würde die Welt durch absolute Ehrlichkeit wirklich ein besserer Ort und wir selbst so viel glücklicher? Ich denke nicht.

    Möchte ich denn wirklich die Wahrheit hören wenn ich frage “Wie seh ich aus?” oder doch lieber eine schonungsvolles und aufmunterndes “Ganz toll, wie immer!” wenn ich ohnehin schon selbst genug an mir rummäkle?
    Möchte ich die Wahrheit hören, jedes Mal wenn ich frage “Wie geht es dir?” ? Und möchte ich dann jedes Mal die Wahrheit antworten?
    Wenn ich einen Freund brauche und ihn bitte mich zu treffen kann ich sicherlich damit umgehen wenn er meint er hätte keine Lust auf Kino und würde lieber mit mir etwas trinken gehen. Aber würde ich Dinge hören wollen wie “Ich hab heute echt keine Lust auf dich. Ich treff viel lieber jemand anderen.” oder “Du bist im Moment ziemlich anstrengend und ich hab echt keinen Nerv für dich.” selbst wenn es noch so sehr die Wahrheit ist?
    Wenn ein geliebter Mensch uns verlässt, will ich dann die schonungslose Realität, oder doch hören dass er jetzt an einem besseren Ort ist, egal an was oder wen du glaubst?

    Nein, ich WILL verdammt nochmal belogen werden!
    Ich will dass du mir erzählst dass deine dritte Oma am Corona Bier erstickt ist und du dringend zu ihrer Beisetzung nach Tibet fahren musst und nicht dass ich dir zur Zeit tierisch auf die Nerven gehe.
    Ich will gesagt bekommen dass ich keinen fetten Hintern habe in allem was ich anhabe. Es gibt einen Grund warum wir hinten keine Augen haben, lasst mir die Illusion.
    Ich will hören dass alles gut wird, auch es nicht stimmt.
    Ich will den Weihnachtsmann und den Osterhasen, Feen und Zwerge und glitzernde Einhörner!
    Und es ist mir egal ob das die Wahrheit ist oder nicht.

    Denn eine Welt ohne all diesen Lügen ist eine in der ich nicht sein möchte.

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